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Unser Buchhalter steigt aus, ich muss selbst ran

Tina Kyburz im Büro für die Buchhaltung

Mit besorgter Miene steht unser Buchhalter in unserer Werkstatt. Es ist nicht das fehlende Geld. Das Bankkonto ist gut gefüllt. Er hat einfach zu wenig Zeit. Ausserdem geht es ihm an die Nerven, wie unsortiert er die Belege bekommt. Essensbelege, die eindeutig nichts mit der Arbeit zu tun hätten: Wir waren eine WG und unserer Meinung nach ging das Essen auf Firmenkosten. Eben nicht: das hätte mit einem Ingenieurbüro überhaupt nichts zu tun. Und das ganze Eis? Wir bauten Solar-Eis-Fahrzeuge. Das Eis brauchten wir für die Versuche. Ausserdem verkauften wir gelegentlich auch Eis, ausser wenn wir es gerade verschenkten, um unsere Standnachbarn in Genf am Autosalon zu beruhigen. Und genau deshalb hätte er die Schnauze voll, auch von den ganzen Diskussionen und den Sonderregelungen. Er übergab uns das Bankkonto, die ganzen Belege und die angefangene Buchhaltung. Da waren wir wohl zu weit gegangen. Es war nichts mehr zu machen. Was kommt jetzt?
Es gibt keine Wahl: ich muss selbst ran. Von einem Tag auf den anderen hatte ich für die Konstruktionen nur noch sehr wenig Zeit. Ein Bekannter vermittelte mir einen Treuhänder, der sich dazu bereit erklärte, mir gegen stattliche Bezahlung meine buchhalterischen Fragen zu beantworten. Ich wühlte mich durch Bücher und konsultierte den Berater. Wir machten eine komplette Inventur. Tatsächlich hatten wir sehr viele Sonderregelungen. Wird unser Eis für Testes verbraucht, so muss es als Eigenbedarf verbucht werden, wenn es am Stand verkauft wird als Warenverkauf. Es muss unterschieden werden, ob das Eis abgegeben wird und im Laufen verzehrt wird oder aber bei uns an der Bar. Und wohin sollen die Drinks, die wir am letzten Fest verkauft hatten und wer von uns hat eine Schankgenehmigung? Die Kühltruhe, die uns die Firma Frisko geschenkt hatte, welche sowohl für das Versuchseis als auch für den privaten Haushalt genutzt wurde – wie sollte ich das nur im Inventar vermerken? Mehrere Monate vergrub ich mich hinter den Zahlen und den ganzen Regeln und hatte plötzlich Verständnis für die Nöte von unserem ehemaligen Buchhalter.
Ich versuchte meine damalige Frau Tina zu animieren, mir am PC zu helfen. Sie jedoch hatte damals eine absolute Computerallergie: Sie bestand fest darauf, dass sie nie mit Computer arbeiten werde – sie lerne das sowieso nie. Ich versuchte ihr mit viel Geduld beizubringen, wie die Geräte ein und ausgeschaltet werden. Alles, was ich sie lernen wollte, das lehnte sie grundsätzlich ab und sie bestand darauf, das nicht lernen zu können und auch nichts lernen zu wollen. Das dauernd klingelnde Telefon wollte sie auch nicht abnehmen, da sie sowieso keine Fragen beantworten könne. Ich baute Druck auf – erfolglos. Wenn Tina jeweils am Nachmittag für uns alle gekocht hatte, die Küche aufgeräumt hatte und mit ihrem Hund spazieren gegangen ist, so ist sie neben mich hingesessen und hat begonnen etwas zu lesen oder aber zu stricken. Ich liess sie gewähren und sie schien glücklich. 

Martin Kyburz selbst in der Buchhaltung, an einem Pult sitzend
Martin Kyburz in der Pause während der Buchhaltung

Dann geschah etwas ganz Merkwürdiges: Ich hing intensiv an meinen Tabellen als das Telefon klingelte, so drehte ich mich um und begann zu telefonieren. In dieser Zeit setzte sich Tina an den Rechner und buchte einfach weiter. Völlig verwundert fragte ich sie, wo sie denn das gelernt hätte. Sie bediente den PC und verbuchte absolut korrekt. Wie war das möglich? Tina bestand darauf, dass sie nicht mit PCs arbeiten könne und auch nichts von Buchhaltung verstehe. Sie mache einfach das, was ich auch mache, und das sei ganz einfach.
Ich verstand die Welt nicht und Tina schon gar nicht, aber ab dem Moment hatte ich einen Weg gefunden, sie einzubeziehen. Immer, wenn ich etwas am Machen war und mich umdrehte, so machte Tina einfach genau das weiter, was ich gerade tat. Auf diese Art und Weise lernte sie die wichtigsten Buchungen, sie machte Offerten, Auftragsbestätigungen, Rechnungen, Inventuren, sie führte Kundengespräche, sie war die zentrale Auskunftsstelle und führte am Schluss das Sekretariat mit mehreren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Tina war nicht nur meine Frau, sie war auch diejenige, die unsere Finanzen zusammenhielt und die ganze Administration leitete. Sie entwickelte sich zur effizientesten und fähigsten Mitarbeiterin. Ich durfte endlich wieder das machen, was ich am liebsten tat: konstruieren und bauen.

Ich lernte dabei:

  • Eine effiziente Buchhaltung ist die Basis jeder Firma
  • Manchmal läuft es nicht immer so wie ich will, aber trotzdem in die richtige Richtung