Umzug nach Freienstein
Der Umzug stand an. In Windeseile verfrachteten wir unsere ganzen Habseligkeiten in 25 Lastwagen und fuhren los Richtung Freienstein.
Ich stellte einen neuen Verkäufer ein: Bernhard Hafner. Er lebte bisher in Olten und betrieb da ein Ladengeschäft für Solarartikel. Ausserdem war er im Gemeinderat tätig. Bernhard wünschte eine Veränderung und zog auch gleich bei uns in Seuzach ein. In der kleinen 3-Zimmer-Wohnung lebten wir unterdessen schon zu fünft. Bernhard hatte ein sehr gewinnendes Auftreten und konnte wirklich gute Reden halten. Er konnte unser Team gut motivieren. Beim Umzug packte er tatkräftig mit an. Genau so jemand hatten wir gebraucht.
Was wir unterschätzt hatten: Erneut hatten wir eine Werkstatt einzurichten und es erfolgte ein Produktions- und Verkaufsunterbruch von zwei Monaten. Das Geld rann uns durch die Finger. Gegen September 1996 waren wir fertig mit der provisorischen Werkstatt und konnten wieder produzieren. Um das allen zu zeigen, veranstalteten wir unseren ersten Tag der offenen Tür in Freienstein. Da wurde die Tradition geboren, immer am ersten Samstag im Monat September einen Tag der offenen Tür zu veranstalten. Es kamen viele Besucher – einige sogar aus dem entfernten Düsseldorf: Herr und Frau Golasch betrieben ein Sanitätsgeschäft. Sie hatten vom CLASSIC und von uns gehört und wollten unsere Produkte in Deutschland vertreiben. Obwohl wir sehr viele Kontakte hatten und ich immer wieder mit Interessenten sprach, verkauften wir keine Fahrzeuge! Auch der Einsatz der beiden Solar-Eis war zunehmend schwieriger geworden: Sorbetto wollte diese nicht mehr und gab sie sauber geputzt an uns zurück. Das Geld rann uns weiter durch die Finger. Der Kontostand war nahe am Nullpunkt, als ein älterer Mann durch die Werkstatttüre schritt: Er sei Herr Schürmann und habe von mir in der Zeitung gelesen. Ob ich Geld brauche, war seine Frage. Ich bejahte und wir gingen in mein Büro. Er habe nicht mehr sehr viel Zeit, er habe starke Schmerzen. «Wie viel?» Ich nannte die Summe von CHF 150'000. Er schloss kurz die Augen – das sei in Ordnung. Ich solle den Darlehensvertrag vorbereiten und wir einigten uns auf die Bedingungen. Er wollte zwei Tage später wieder kommen zur Unterschrift. Einigermassen erstaunt bereitete ich den Vertrag vor und wartete, ob Herr Schürmann wieder auftauchen würde. Pünktlich fuhr er mit seinem Citroën Xantia vor und wir tranken einen Kaffee zusammen. Heute ging es ihm besser und er hatte mehr Zeit mitgebracht. Wir änderten noch eine Kleinigkeit am Vertrag und dieser wurde gegenseitig unterschrieben. Danach versprach er mir: In wenigen Tagen werde ich das Geld auf dem Konto haben. Ich wollte mehr über Herrn Schürmann erfahren: Sein Vorname sei Peter, wir können uns jetzt duzen. Er sei kein sehr reicher Mensch. Er habe sein Leben lang gearbeitet. Begonnen hatte er als Steinmetz – bis er seinen Job wegen der Staublunge wechseln musste. Danach war er Gärtner, betrieb eine Schreinerei, um dann als Autoverkäufer sehr erfolgreich zu arbeiten. Er erklärte mir, wie er die Autos verkauft hatte: Er habe sich immer ein eigenes Bild gemacht, was für den Kunden gut sei. Er habe nie versucht, einem Interessenten ein Auto aufzuschwatzen, das nicht seinen Wünschen und seinen Bedürfnissen entspricht. Was er aber sehr oft gemacht habe: Am Feierabend jemandem ein Auto vorbeigebracht, dass dieser das ausführlich mit seiner Frau zusammen anschauen konnte, um sich wirklich im Klaren zu werden, ob das Auto für sie beide die richtige Wahl sei. Ganz einfach: Er habe seine Kunden für voll genommen. Das habe ihm sehr viele gute weitere Kontakte und dadurch weitere Kunden vermittelt. So habe ich von Peter sehr viel über den Verkauf gelernt. Ich habe ein völlig neues Bild bekommen. Bisher war für mich ein Verkäufer jemand der versucht, kraft seiner Worte einem Kunden etwas anzudrehen, was dieser gar nicht braucht. Peter aber hat seinen Kunden offensichtlich immer genau das verkauft, was sie sich wünschten und auch bestmöglich gebrauchen konnten. Ich fragte Peter nach seiner Meinung über Bernhard Hafner, meinen aktuellen Verkäufer. «Der? Das ist ein Windhund. Dem würde er nichts abkaufen.» Autsch! Das war deutlich und konnte eine Erklärung dafür sein, weshalb unsere Verkaufszahlen stockten. Er würde selbst bei mir im Verkauf einsteigen und glaube an den Erfolg, leider aber sei er zu alt und habe viel zu starke Schmerzen.
Weiter wollte ich von Peter wissen, weshalb er mir denn vertraue. Ob er keine Angst habe, dass er sein Geld nicht mehr zurückbekomme? Peter erklärte mir: «Er sei schon betrogen worden, aber noch nie in seinem Leben von einem Handwerker.» Ich sei für ihn ein Handwerker und das sei keine Frage, dass ich ihm das Geld wieder zurückzahlen werde.
Ich lernte dabei:
- Peter zeigte mir, was einen guten Verkäufer ausmacht
- Ich brauchte einen neuen Verkäufer – schon wieder…
- Verträge, die auf Vertrauen basieren, sind die besten