Tour de Sol 1992
Start an der Tour de Sol 92
Viel Zeit blieb nicht. Am Freitag fuhr ich nochmals etwa 30 km im Zürcher Weinland herum, möglichst vorsichtig, um kurz vor dem Rennen das eben frisch fertig gestellte Fahrzeug nicht zu stark zu fordern. Nun hiess es zusammenpacken, um am Samstag morgen früh Cheetah mit dem Anhänger an den Start des Rennens zu fahren. Der Start war in Pforzheim. Christian Ent war unser Fahrer. Sein Geländewagen für die nächsten Tage unser Mannschaftsfahrzeug und der gemietete Anhänger diente zum Transport von Cheetah. Nachdem wir mit Cheetah gerade die Strassenzulassung erreicht hatten, war die technische Abnahme der Tour de Sol gut zu bestehen und wir waren bereit für den Renneinsatz. Als Fahrerin hatten wir im Vorfeld meine damalige Frau Tina Kyburz gemeldet. Ich war der Meinung, beim Start sei Cheetah gut erprobt, Christian Ent sei der Fahrer des Transportfahrzeuges und Gerd und ich können uns über die Rennstrategie Gedanken machen.
Wie sich im Laufe des Rennens herausstellen sollte, war das nicht die optimale Aufteilung und Cheetah war noch völlig unausgereift, wie wir bitter erfahren sollten.
Die Tour de Sol bestand damals aus verschiedenen Überführungsetappen von einem Ort zum nächsten. Bei diesen Überführungsetappen durfte möglichst wenig Energie verbraucht werden. Ansonsten war das einzige Ziel, an der nächsten Etappe innerhalb eines grosszügig vorgegebenen Zeitfensters anzukommen. An jedem Zielort waren dann verschiedene Sonderaufgaben zu lösen.
Die erste Sonderprüfung war ein Beschleunigungstest. Start, Vollgas (respektive Vollstrom) und die Zeit bis zum Erreichen der Zielflagge wurde gemessen. Tina brillierte und am ersten Tag fand sich unser Team auf dem ersten Rang wieder. Alles lief perfekt. Die Überführungsetappe stand an. Auch im Punkt Energieverbrauch war Cheetah top. Der Verbrauch war unter 3kWh/100 km, was ein überragender Wert war. Wir fühlten uns grossartig und meine Frau winkte dem staunenden Publikum zu. Bis zu jenem Moment, als mich Tina aus dem fahrenden Cheetah heraus anrief, beim Start zur zweiten Überführungsetappe hätte es im Antriebsbereich einen lauten Knall gegeben. Cheetah fahre noch, habe aber an Leistung eingebüsst und beim Beschleunigen müsse sie mit der Lenkung das Fahrzeug gegenlenken. Wir wunderten uns und untersuchten Cheetah am Etappenziel: Voller Entsetzen bemerkten wir, dass eine der beiden Motoren-Antriebswellen gebrochen war. Materialfehler in der Motorenwelle oder ein Konstruktionsfehler? Später sollte sich herausstellen, dass wir einen Teil der Aufhängung zu schwach konstruiert hatten und die Belastung auf die Motorenwelle dadurch zu hoch war.
Die Tour de Sol Teilnehmer, eine grosse Familie. Man hilft sich.
Mein Problem war: ich musste schnellstmöglich einen neuen Motor auftreiben. Aber von wem? Ich fragte mich beim Veranstalter und bei den Teilnehmern durch bis ich vor Max Horlacher stand. Einige der von ihm gebauten Fahrzeuge waren mit demselben Motor ausgestattet. Horlacher war damals ein klingender Name. Er hatte schon viele Fahrezuge gebaut. Gleich mehrere von seinen Fahrzeugen nahmen mit sehr guten Fahrern am Rennen teil: Da waren Axel Krause mit dem Horlacher Carbon, Paul Schweizer mit seinem roten Flitzer, Ernst Reinhard mit einem silbernen, grösseren 4-Rad und einige seiner berühmten Horlacher Eier, eines davon von Margrit Schweizer pilotiert. Ich stand also vor dem berühmten Max Horlacher. Zum damaligen Zeitpunkt waren wir auf der Rangliste mit unserem Cheetah noch vor allen seinen Horlacher-Fahrzeugen. So richtete ich die Frage an ihn, ob er zufälligerweise über einen Ersatzmotor verfüge. Max bot mir das Du an und war voll des Lobes über die phantastische Formgebung meines Fahrzeuges und der Fahrerin Tina. Nach seinen Worten war es beiden würdig, einer Statue gleich auf ein Podest gehoben zu werden.
Ich erklärte Max mein Problem von der gebrochenen Motorwelle und dass Cheetah wohl in kurzer Zeit nur noch auf einem Podest zu sehen sei, jedoch nicht mehr im Rennen mitfahren konnte, wenn ich nicht in der Lage sein sollte, einen Motor aufzutreiben. Es wäre ein Leichtes für Max Horlacher gewesen, mir den Motor zu verwehren und damit aus seiner Sicht einen Wettbewerber auszuschalten.
Max meinte nur: Nein, das könne er unter keinen Umständen zulassen. Er habe zu Hause in seiner Werkstatt einen Reservemotor, den er mir auch gerne zur Verfügung stellen werde. Cheetah müsse weiterhin im Rennen bleiben.
Meine Eltern waren bereit, den Motor in Möhlin abzuholen und uns zum Rennen zu bringen. Derweilen zerlegten Gerd und ich Cheetah. Dummerweise war das Fahrzeug sehr kompakt gebaut. Egal, welche Komponente gewechselt werden musste, ein kompletter Aus- und wieder Einbau dauerte in etwa 4 Arbeitsstunden. Bei Cheetah waren die ganzen Komponenten einem dreidimensionalen Tetris-Spiel ähnlich. Ich lernte daraus und meine späteren Fahrzeuge sollten wesentlich wartungsfreundlicher aufgebaut werden.
So musste an diesem ersten Renntag einer der beiden Antriebsmotoren gewechselt werden. Uns blieb wenig Schlaf.
Am zweiten Tag ging die Fahrt weiter. Aufgrund der mangelnden Vorbereitung hatten wir zu wenig Zeit, die Etappe vorzubereiten. Das führte zu einer falschen Fahranweisung an meine Frau. Ihr Fahrfehler schlug sich auf die Bewertung durch und wir fanden uns auf dem zweiten Zwischenrang wieder. Noch war alles offen.
Am nächsten Tag der nächste Fehler: bei unserem eingebauten Ladegerät war wieder etwas nicht korrekt angeschlossen. Die Ladesicherung brannte durch. Unsicher, ob wir bei der Vorbereitung die Verkabelung wirklich sauber ausgeführt hatten, machten wir uns ans Werk: Wieder eine mehrstündige Reparatur. Am dritten Renntag ging alles um den Energieverbrauch. Das war eine weitere Paradedisziplin von Cheetah. Dank seiner Effizienz und seiner für damalige Verhältnisse grossen Batteriekapazität lag die Reichweite von Cheetah über 150 km. Wir verzichteten beim Mittagshalt bewusst auf die Lademöglichkeit und rechneten uns aus, wie wir wieder den Spitzenplatz erlangen.
Auf der Nachmittagsetappe waren Gerd und ich gerade daran, an unserer Energiestartegie zu feilen und zu prognostizieren, wie viel Zusatzrunden wir am Abend noch fahren konnten, als zu unserem grossen Entsetzen vor uns Tina mit dem Cheetah immer langsamer wurde und schliesslich am Strassenrand stehen bleib. Cheetahs Batterien waren leer. Bei der Reparatur des Ladegerätes am Vortag hatten wir offensichtlich zu wenig sorgfältig gearbeitet. Das Batteriepack von Cheetah bestand aus 28 parallelen Strängen. Wir hatten schlichtweg vergessen, die Hälfte der Stränge einzustecken, wobei die eine Hälfte der Batterien nicht geladen wurde und deren Energie jetzt auch nicht zur Verfügung stand. Aufgeregt und hektisch bereiteten wir uns vor: Was sollten wir tun? Wir mussten handeln, wenn wir die Chancen auf einen vorderen Rang beibehalten wollten. Wir waren uns nicht einig: Sollten wir es wagen, die ausgesteckten Stränge einfach einzustecken, um die Etappe wenigstens fertig fahren zu können? War noch genügend Energie in den nicht eingesteckten Batteriesträngen? Während wir uns in die immer hektischer werdende Diskussion verstrickten, wagte einer aus unserem Team das Experiment. Er steckte die Stränge ein und mit einem grossen Knall verabschiedete sich die Bordelektronik. Das war zu viel für unser Team: der Streit eskalierte und wutentbrannt verabschiedete sich Gerd und auch Christian Ent musste wieder zurück an seine ordentliche Arbeit.
Zurück bleiben Tina, ich und der defekte Cheetah. Meine Eltern, die mir am Vortag den Motor für den Wechsel vorbeigebracht hatten, waren in der Nähe und kamen mit unserem PW vorbei. Sie waren für den Rest des Rennes unser Begleitteam. So blieb uns nichts anderes übrig, als Cheetah aufzuladen und ans Tagesziel zu transportieren. Für diesen Tag hatten wir einen «Nuller» kassiert. Cheetah und das vorhandene Restteam wurde zurückgeworfen. Damit war die Chance auf einen der vorderen Ränge vertan.
Die nächste Reparatur stand an. Das Ladegerät war hin und musste durch ein externes Gerät ersetzt werden. Die Batterie musste wieder ausgeglichen und sorgfältig geladen werden. Am nächsten Morgen stand Cheetah und Fahrerin wieder bereit, wenn auch nicht mehr unter den ersten 10 Rängen.
Rundstreckenrennen und Slalom standen an.
Ich wunderte mich, wie die ganzen Temperaturmesssensoren in meiner Batterie nahezu dieselbe Temperatur anzeigten und noch mehr, dass die Temperatur der Batterie nach dem Belastungstest höher war als erwartet. Woher kam das? Der Energieverbrauch von Cheetah stieg und irgend etwas stimmte nicht mehr! Wir fuhren weiter. Am nächsten Tag begann es zu regnen und die Bordelektronik spielte verrückt. Das war der Zeitpunkt für mich, um den Platz in Cheetah mit Tina zu tauschen. Ich versuchte, ohne die Instrumente trotzdem die Fahrt fortzusetzen. Die nächste Reparatur stand an und der unerlaubte Fahrerwechsel führte zu weiteren Strafpunkten. Schlussendlich wurden wir durchgereicht bis zum zweitletzten Schlussrang. Nur gerade der Deutsche «Schorsch» in seinem e-Trabbi, der in einer Mühle im Wald lebte und die Energie für die Reise in seinem eigenen Wasserkraftwerk generierte, konnten wir noch hinter uns lassen. Schorsch war mit seiner Lebensgefährtin und seinem riesigen Hund das Rennen gefahren. Für ihn war es wichtiger, mit dabei zu sein als wirklich um einen der Ränge zu kämpfen. Für mich in der Zwischenzeit auch. Unser Rennteam hatte sich aufgelöst und Cheetah hatte einfach noch viel zu viele Kinderkrankheiten: das Fahrzeug war nicht erprobt. Die letzte Etappe führte in strömendem Regen nach Saas Fee. Kurz vor der Ziellinie blieb Cheetah endgültig stehen und der zweitletzte Schlussrang war das definitive erste Rennergebnis.
Gelernt hatte ich dabei:
- Bei der Konstruktion eines Rennfahrzeuges muss auch die Wartung und die Reparatur mitberücksichtigt werden.
- Es ist nicht zielführend, mit einem völlig unerprobten Fahrzeug ein Rennen bestreiten zu wollen.
In der Hektik zu Handeln bringt Folgefehler
- Auf die eigene Familie kann ich mich jederzeit verlassen.